„Was wäre wenn“; seit Stunden drehten sich ihre Gedanken um diesen einen Satz. Sie hatte sich vorgenommen, einen Beitrag zu diesem Thema zu verfassen, um an einen Schreibwettbewerb teilnehmen zu können. 7.000 bis 10.000 Zeichen sollte ihr Text beinhalten; bis jetzt hatte sie drei halbe Sätze notiert, deren Worte sie verzweifelt hin und her schob.
„Was wäre wenn“; philosophisch für sie wichtige Fragen schossen ihr durch den Kopf. Fragen wie: „Wäre die Welt ein besserer Ort, wenn Menschen lieben anstatt hassen würden?“ „Wäre unsere Gesellschaft heute weniger zerrissen und unzufrieden, wenn sie 2020 nicht durch einen Virus, der Impfstreitigkeiten und Verschwörungstheorien mit sich zog, durchgerüttelt worden wäre?“ Ihr Kopf brummte, sie fand keine Frage, die es ihrer Meinung nach wert war, 10.000 Zeichen zu widmen; sie nippte an ihrem Kaffee, zündete sich eine Zigarette an und blickte zum Fenster heraus.
Der Tag verlor sich in den Abend und das gelb-orangene Licht der untergehenden Sonne vermittelte ihr ein Gefühl von Wärme und Wehmut. „Alles endet irgendwann“, dachte sie bei sich; „selbst die schönen Momente, die irgendwann nur noch im Herzen weiterleben – als Erinnerung, lebendig gehalten in Bild und Ton.“
Sie ließ ihre bildhaften Erinnerungen Revue passieren; Momente, die zwar vergangen waren, sich aber immer wieder in ihr Herz schlichen, ihre Seele berührten und Sehnsüchte weckten, die sie scheinbar vergessen hatte. Sie ließ sich in diese Momente fallen, spürte die Sehnsucht in ihnen und erinnerte sich an ihr „was wäre wenn“; sie dachte an ihn.
Sie würde niemals vergessen, welche Gefühle er in ihr ausgelöst hatte; 100 Millionen Volt trafen ihr Herz von jetzt auf gleich. Damals hätte sie niemals geglaubt, dass man sich Knall auf Fall in einen Menschen verlieben kann. Sie war eher die pragmatische Person, die oberflächliche Beziehungen führte; nicht, weil sie es so wollte, sondern, weil diese Art von Beziehungen keine Gefahr für ihr Herz darstellten.
Doch dann kam er in ihr Leben und mit ihm, dieses exosive Gefühl. Eigentlich hatte er ihr schon immer gefallen, doch das hatte sie verdrängt. Man kannte sich, doch mehr als sporadischer Kontakt bestand nie. Sie war damals in einer Beziehung, in einer Pragmatischen; eine, die ihr Herz kaum berührte.
Es begann ganz plötzlich, nach einem Tag mit etwas mehr Kontakt als sonst; eigentlich war alles wie immer, doch irgendwie auch nicht.
Er rief sie danach an, sie wunderte sich, denn seine Stimme klang anders als sonst. Sie trafen sich, um sich beruflich auszutauschen, wie er sagte.
Da saß sie nun; lauschte seinen Worten, verfolgte seine Mimik und betrachtete immer wieder sein Gesicht. Und dann passierte es; von einem Moment auf den anderen, fuhr ihr Herz Achterbahn und Schmetterlinge flatterten in wilden Kreise. Sie verstand ihr Herz in diesem Moment nicht und blockierte dieses Gefühl; doch je mehr sie ihre Gefühle ignorierte, desto stärker wurden sie. Und mit jedem Wiedersehen, versank sie nur noch mehr in ihren Sehnsüchten, bis sie an nichts mehr anderes denken konnte, als an ihn.
Er ging ihr nicht mehr aus den Kopf, vereinnahmte ihr Herz und dennoch ging sie ihm aus den Weg; was nicht sein durfte, wollte sie nicht zulassen. Doch irgendwann entschied ihr Herz, ihren Gefühlen nachzugeben, diese voll und ganz zu fühlen, weshalb sie ihre pragmatische Beziehung beendete.
Von da an hätte alles so einfach sein können, hätten ihr ihre Selbstzweifel und ihr geringer Selbstwert nicht immer wieder Stolpersteine in den Weg gelegt; Stolpersteine, die sich im Laufe der Jahre zu Gebirgsketten entwickelt hatten und die nun ihr Herz verschlossen.
Zwischen ihnen beiden entstand ein Tanz, der durch schiefe Melodien und falsche Einsätze geprägt war; ein Paartanz entwickelte sich nie. Es wurden Andeutungen ausgesprochen, Blicke ausgetauscht, doppeldeutige Aussagen getroffen oder indirekte Botschaften in verschachtelte Sätze verpackt; sie schaffte es nicht, sich aus ihrem selbst gebauten Gefängnis mit seinen Gitterstäben aus Selbstzweifeln und negativen Glaubenssätzen zu befreien. Irgendwann wurde es zur Normalität, ihm gegenüber so zu tun, als sei er ihr egal bzw. als hätte sie keine Gefühle für ihn; anstatt ihm zu sagen, dass sich seine Umarmungen für sie wie ein sicherer Hafen anfühlten, ging sie weiter auf Abstand zu im. Sie ignorierte auch, dass sie eine besondere Verbindung zu ihm fühlte, sich ein Stück in ihm erkannte; in seinen Selbstzweifeln, Unsicherheiten und auch in seinen Ängsten.
Sie tat so, als sei er irgendwer; jemand, der ihr nicht wichtig ist. Doch innerlich, da träumte sie von einem „was wäre wenn“.
In ihrem „was wäre wenn“ Träumen war sie mutig und er war es auch. Sie stellte sich vor, dass sie ihm ihre Gefühle offenbarte und sie sich finden; in ihrer Gemeinsamkeit der Verletzlichkeit. Sie malte sich ihre Begegnungen in den schönsten Farben aus, doch ihre Zusammentreffen färbte sie weiterhin in Schwarz oder Weiß; immer in der Hoffnung, er würde ihre wagen Äußerungen und geheimen Zeichen der Zuneigung verstehen.
Und obwohl sie ihm gern gesagt hätte, dass er etwas in ihr auslöste, den Wunsch nach Liebe und Geborgenheit in ihr verstärkte, tat sie es nicht. Stattdessen handelte sie wider ihrer Wünsche, ging immer weiter auf Abstand zu ihm, bis sie sich irgendwann vollkommen in ihren Ambivalenzen und ihrem „was wäre wenn“ verlor.
Sie wurde ein Grau, das durch die Gegend schlich und sich nach einem Weiß sehnte, das sie erhellte. Ihre Ambivalenz, ihre unterdrückten Gefühle, die sie fast jeden Tag in einem „was wäre wenn“ begrüßten, fraßen sie auf. Sie wurde eine andere und beschloss daher, den Kontakt zu ihm abzubrechen, um aus ihrem Gefängnis auszubrechen; sie wollte wieder zu sich selbst finden, indem sie ein Ist ohne ein „was wäre wenn“ kreierte.
Also tat sie etwas, was sie gelernt hatte, um ihr Herz zu schützen; sie verabschiedete sich von ihm und ging davon. Doch es war nur scheinbar ein Abschied gewesen, denn ihr Herz ließ ihr „was wäre wenn“, ihre Sehnsucht nach ihm nicht los.
Nach einer Zeit des Abstands begann ihr alt bekannter Tanz von vorne, ohne, das sich etwas verändert hatte. Beide tanzten nach derselben arrhythmischen Musik und stolperten bei den einfachsten Takten; die Melodien harmonierten nicht, es kam zu keinem Zusammenspiel. Die Töne klangen schief, gingen nicht ineinander über und es schien so, als ob eine versteckte Melodie im Hintergrund spielt; keiner von ihnen beiden traute sich, Töne direkt anzuspielen.
Irgendwann wurde ihrem Herzen von den immer wiederkehrenden „was wäre wenn“ Tänzen schwindelig, weshalb sie beschloss, ihre Takte klarer zu spielen; sie verfasste eine neue Melodie, in der Hoffnung, das er sie hörte, verstand und in sein Herz aufnahm.
Doch er antwortete ihrer Melodie nicht, so dass ihr Herz verstummte.
Ihr wurde bewusst, dass sie diesmal wirklich gehen musste, um sich aus ihrer „was wäre wenn“ Phantasie befreien zu können. Und so ging sie; diesmal ganz, nicht nur ein bisschen und ließ ihr „was wäre wenn“ endgültig zurück.
Ein paar Tage vor ihrem Abschied antwortete er ihrer Melodie doch noch; wie gewohnt, spielte er keinen klaren Ton. Sie reagierte nicht, spielte nicht zurück, denn ihre Melodie war verklungen; ihr „was wäre wenn“ war verstummt.
Ein Geräusch, das sie aus ihrem Abendtraum riss, ertönte. Sie blickte erneut aus dem Fenster. Der Mond leuchtete und der Bildschirm ihres Laptops war schwarz. Sie war in ihre Gedankenwelt versunken und hatte die Zeit darüber vergessen. Sie schlug den Laptop zu; für heute hatte sie genug von ihrem „was wäre wenn“, das nach so langer Zeit immer noch ihr Herz berührte.
Was wäre wenn wir statt
lügendem Selbstbetrug
einander unser aller
Erbe Segen Schätze
lebten dann ist s wovon
die Dichter träumen
Das Himmelreich auf Erden
pflücken und naschen wir
die süßen Früchte des Liebens
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Ja, wie wahr gesagt. Manchmal jedoch schwer… Leider.
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was ist schwerer
nicht zu lieben ist Leiden
anstrengend eine bedrückende Last
einatmend lieben
ausatmend lieben
dazwischen geliebt sein
federleicht
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Absolut, nur muss man es glaube ich lernen oder annehmen. 😊
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Dies ist alles so offen ausgesprochen in so bewegenden Worten, daß es „ankommt“…Ich meine, daß hier an einem Roman geschrieben wird…
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Ganz lieben Dank. 🖤 Stoff gäbe es, aber es wird ein Essay bleiben; es sei denn, mich packt die Lust an einem zweiten Teil zu schreiben. Dieser würde dann aber eher mit Phantasie auskommen müssen. Jedoch habe ich eine andere Idee, die ein Mehrteiler werden könnte. Mal sehen, es fehlt mir die Zeit hierfür.
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Traurig – Traurig – Traurig diese Geschichte 😪
🌈😘😎
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Vielleicht, hätte ich andere Stifte genommen, wäre sie heute eine andere… Danke Monika. 😘
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Ich finde, du hast ihre Gefühlswelt richtig toll und nachvollziehbar in Worte gefasst. Ich habe selbst einmal so etwas erlebt. Allerdings war ich an seiner Stelle (in meinem Fall war er der Ambivalente, der sich immer wieder verabschiedet hat). Mich hat das damals kaputtgemacht, weil ich immer dachte, es liegt an mir … Solche Geschichten hinterlassen leider sehr viel Leid auf beiden Seiten.
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Lieben Dank für deinen Kommentar, der mich berührt. Du sagst es, Leid und vieles, was das Herz berührt. Ich glaube Ambivalenz gab es auf beiden Seiten. Aber letztlich hat jeder seine Wahrnehmung und seine Wahrheit.
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🖤
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