Es fällt uns leicht, andere Menschen zu kritisieren oder zu bewerten, sobald sie etwas tun, was nicht unseren Erwartungen entspricht. Kurios daran ist, dass wir unserem Gegenüber unsere Erwartungen nicht einmal kommunizieren. Wir denken:
„Er muss es doch so wie ich sehen.“
„Er muss doch wissen/spüren, was ich brauche.“
„Er muss doch wissen, dass dieses Verhalten falsch ist und mich verletzt.“
Davon gehen wir einfach aus und vergessen eine Kleinigkeit: „Er muss gar nichts.“ Natürlich sollte jeder grundsätzlich einschätzen können, was richtig oder falsch (schlagen, töten, etc.) ist. Verhaltensweisen sind aber erlernt, ebenso Lebenseinstellungen oder der Umgang mit Themen wie Liebe, Freundschaft etc. Sie sind individuell verschieden – geprägt durch eigene Erfahrungen.
Wir sehen die Dinge nicht „wie sie sind“, sondern „wie wir sind“ . Wir alle haben eine „erlernte Brille“ der Wahrnehmung, die uns die Welt mit ihren Menschen eingefärbt zeigt und bewerten lässt. So wie uns, geht’s dem anderen aber auch – auch er hat eine Brille.
Bevor wir das nächste Mal vorschnell kritisieren, weil wir die Welt und/oder Menschen durch unsere Brille wahrnehmen, sollten wir kurz innehalten und versuchen, einen klaren Blick auf Situationen/Menschen, die uns verärgert oder verletzt haben, zu erhalten. Es kann helfen, sich folgende Frage zu stellen: „Hat uns die Situation bzw. das Verhalten des einen bestimmten Menschen verletzt oder waren wir verletzt, weil wir der Meinung sind, dass man sich in dieser Situation anders verhalten muss?“. Schafft man es, Situationen auf diese Art zu beleuchten fällt auf, dass oft letzteres der Fall ist. Man ist weniger verärgert, kann dem anderen Erwartungen komminizieren, aber auch Einstellungen anderer annehmen.
Es macht das Leben leichter, wenn wir von unseren Vorstellungen, wie ein Mensch zu sein hat, abkommen. Und es gibt uns die Chance, die Farbpalette unserer Brille zu erweitern.