abc.Etüden – Befreiung –

Die abc.Etüden http://365tageasatzaday.wordpress.com/2021/05/02/schreibeinladung-fuer-die-textwochen-18-19-21-wortspende-vom-bodenlosz-archiv/ sind eine Schreibeinladung von Christiane auf: irgendwas ist immer.

Die Wörter für die Textwochen 18/19 des Schreibjahres 2021 stiftete Nina mit ihrem Blog Das Bodenlosz-Archiv. Sie lauten:

Korsett
rechtsdrehend
dampfen

Wie immer an dieser Stelle der Verweis auf den Etüden-Disclaimer. Die Headline für die Etüden heißt: 3 Begriffe in maximal 300 Wörtern.

Sie stand vor dem Spiegel und betrachtete sich. Ihr weißes, glitzerndes Prinzessin – Kleid wirkte wie eine Verkleidung an ihr. Heute war ihr großer Tag. Sie würde ihre Jugendliebe Christian heiraten. Sie sollte glücklich sein, vor Freude zerspringen; doch, das tat sie nicht. Sie erkannte sich nicht, in diesem überdimensionalen Kleid, das sie fast begrub. Der Anblick schnürte ihr die Luft ab; nicht das Korsett, das unter ihrem Brautkleid ihre Taille formte.

Sie dachte an ihre Träume zurück; reisen, Menschen, andere Kulturen kennenlernen. Sie war schon immer anders gewesen; ein rechtsdrehendes Molekül unter all den linksdrehenden.

Während all ihre Freundinnen von Hochzeit und Kinder träumten, war es ihr Wunsch, die Welt zu bereisen, Eindrücke zu sammeln, in Freiheit zu leben. Dann lernte sie Christian kennen, alles veränderte sich. Sie passte sich seinen Vorstellungen vom Reihenhaus mit Kindern an. Ihre Träume gerieten in Vergessenheit. Nun lebte sie in dieser eintönigen Struktur, die keine Freiheit mehr zuließ; in diesem Reihenhaus, in dem alles durchdacht und eingeplant war, selbst das spätere Kinderzimmer. Ihr schnürte es erneut die Luft ab, wenn sie an ihr weiteres Leben mit Christian dachte. Es war ihr, als ob sie gleich zu Boden fallen würde.

Das Pfeifen des Teekessels brachte sie zurück. Sie drehte sich um, sah ihn dampfen. Zur Beruhigung hatte sie sich einen Tee aufgesetzt. Sie wusste nun, dass er ihr keine Ruhe schenken würde. Es gab nur eins, was sie tun konnte, um wieder Ruhe empfinden zu können. Niemand würde sie verstehen; vor allem Christian nicht. Doch, das war ihr egal.

Sie würde nicht heiraten; heute nicht, vielleicht auch nie. Die einzige Ehe, die sie momentan eingehen wollte, war eine mit ihr.

Sie betrachtete sich erneut im Spiegel, erkannte sich und lächelte. Heute war ihr großer Tag, denn sie befreite sich.

Veröffentlicht von Lene

Ich würde mich als emphatische und entspannte Person bezeichnen, die versucht, ihre Erlebnisse in Wort und Schrift darzustellen. Also alles was mein Herz in irgendeiner Art und Weise berührt, verarbeite ich schriftlich. Ich bin kein Meister der Poesie. Manches mag sich holprig anhören, aber so ist mein Schreibstil. Ich bin auch nicht festgelegt auf eine Art von Text, jedenfalls noch nicht. Ich probiere gerne mal aus, dass merkt man auch an meiner Website: Sie ist recht bunt. Ich denke gerne bunt, denn für mich ist es das Leben auch. Mich freut es einfach, wenn der ein oder andere etwas mit meinen Texten anfangen kann oder sich vielleicht sogar darin wiederfindet. Viel Spaß beim Lesen. Und danke für euren Abstecher in meine kleine, bunten Welt. Vielleicht bis bald. 🤗 Lene

22 Kommentare zu „abc.Etüden – Befreiung –

    1. Das stimmt, Christian hat leider kein Happy End; aber nur, weil ich keine Worte mehr hatte. Er lernt nach dem Ausbruch seiner Isabell, Sybille kennen, mit der er jetzt seinen Traum vom Reihenhaus mit Kindern glücklich lebt. 🤗

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      1. Nun, der einzige Knackpunkt ist, sie wird, gerade wegen der Unterschiedlichkeit der Lebensvorstellungen, nie erfahren, ob sie sich nicht doch hätten gemeinsam entwickeln können – jeder für sich, in Spiegelung durch den Anderen und durch eigene Innenschau. Schade eigentlich. 🙈

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      2. Das sind letztlich nur Spekulationen. Wenn sie Freiheit will, passt da kein Reihenhaus rein. Kinder erst recht nicht. 😉
        Aber mal so gesagt
        Eine Partnerschaft braucht gemeinsame Ziele, Unterschiedlichkeit ist wichtig, aber in Punkto Lebensziele eher kontraproduktiv. Sich selbst zu belügen, den anderen quasi auch, wäre auch nicht gut. Es heißt ja nicht, dass sie nicht jemanden trifft, der ähnlich denkt wie sie und sie dann heiratet. Dann lebt sie nicht im Reihenhaus mit Kindern, aber in Freiheit mit ihrem Gegenüber. Man weiß nie. 😉

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  1. Sie ist soooo mutig, in so einem Moment einfach alles abzublasen! Großartig. Es ist wichtig, zu sich selbst zu stehen, auch wenn man anderen damit wehtut, denn sonst zahlt man drauf – irgendwann. Und es ist nicht leicht, solche Entscheidungen zu treffen, die das ganze Leben verändern.
    Danke dir für deine zweite Etüde! 😀
    Fröhliche Nachmittagskaffeegrüße! 😀

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    1. Hallo Christiane
      Vielen Dank für deinen Kommentar. Ja, so sehe ich das auch. Etwas zu tun, weil es erwartet wird, aber nicht, weil es einen glücklich macht, wäre meiner Ansicht nach eine falsche Entscheidung. Es verletzt auch den anderen, der es wirklich möchte und damit etwas anderes verbindet. Gerne. Liebe Grüße an dich. 🤗

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  2. Gut argumentiert, rational betrachtet ist es wohl so. Auf der Erlebnisebene des Liebens spielten Umstände keine Rolle – Herzen finden auch in Gegensätzen zueinander, oder vielleicht auch gerade deshalb; Reihenhaus und Freiheit schließen sich nicht zwangsläufig aus, auch Hingabe und Selbstliebe nicht – es scheint sich hier eine Frage des Bewusstseins für die eigene Gewichtung, für das was man will, zu eröffnen…
    Aber auf Dichtungsebene ist das wieder einmal ein grandioser Beitrag – ein Trigger allemal und wie immer auf sehr liebevolle Weise formuliert 🤗. Danke dafür 🙏.

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    1. Puh, aufeinander treffen ja, beieinander bleiben, weiß ich nicht. Man muss sich auch ergänzen, ausgleichen. Es sind viele Aspekte, die Liebe ausmachen.
      Natürlich muss Liebe keinen Käfig darstellen; hier geht es eher um unterschiedliche Lebensziele.
      Hingabe ja, selbstaufgabe nein. Man ist immer noch ein Individuum, was wichtig ist.
      Ich habe oft genug erlebt, das einige heiraten, weil sie denken, sie müssen es. Jedem seine Entscheidung! Was ich aber schlimm finde: den anderen irgendwann zu hintergehen oder zwei Leben aneinander vorbei zu führen. Auch dies muss aber jeder selbst wissen.
      Ich habe dazu keine feste Vorstellung; wenn ich heiraten möchte, dann tue ich dies.

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      1. Puh 🤣, es ist ein „anstrengendes“ Thema, ich weiß, vor allem in Kommentarumgebung.
        Liebe ist ein Kind der Freiheit – so zieht es sich zumindest durch alle spirituellen Gazetten -, und diese Freiheit ist die Bindungsenergie; Erwartungen sind Trennungsenergie. Wenn wir von Liebe beseelt sind, dann gibt es keine Herrschaft durch Zwänge oder Anpassung um jeden Preis, nein, im Gegenteil, gerade in der Verbundenheit zum anderen fördert man das Beste zu Tage, dessen freie Entwicklung, die man einander so sehr schätzt. Alles andere sind zwanghafte Konstrukte – und wenn die nicht erfüllt werden, dann geht das Gerangel los um nicht gelebte Lebensziele, unerfüllte Erwartungen und um bedauerte Entscheidungen.
        Ja, wer bei sich selbst ist, ist auch gerne und frei beim anderen Selbst 🤗.

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  3. Zuerst beengte mich unser Reihenhäuschen, sozusagen wie ein zu enges Korsett, wir verkauften es und suchten uns etwas größeres. Zehn Jahre später beengte mich meine Ehe und ich zog aus. Wahrscheinlich beengte mich nie das Häuschen. Wie gut, dass sie es für sich so früh erkannte. Liebe Grüße, Bernd

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    1. Das kann gut sein, das dies ein erstens Indiz war. Ich denke auch, dass es dann besser ist, seine Konsequenzen zu ziehen. Ich konnte mir das gut vorstellen; nur eher mit Wohnung und ohne Hund. 😂😂 Lg

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  4. Ich halte es für mutig, dass sie ihren Weg geht und nicht, den, welcher von ihr erwartet wird. Und toll, dass sie weiß, was sie will. Manche haben das Reihenhaus und wollen Freiheit oder doch einfach nur das Reihenhaus und Ruhe?

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