Stromausfall

Es war Sonntag. Benjamin und Annegret saßen vorm Fernseher. Tatort lief.

Licht schimmerte aus dem Fernseher, Stimmen hallte durch das Wohnzimmer. Zwischen den Eheleuten blieb es still. Sie sprachen nicht miteinander und verharrten bewegungslos vor dem Fernsehgerät.

Plötzlich ertönte ein Zischen und das Fernsehbild wurde schwarz. Verwundert sahen sich Benjamin und Annegret an.

„Das Kabel muss durchgeschmort sein“, sagte Benjamin. „Das habe ich ebenfalls bemerkt“, erwiderte Annegret schnippisch. „Du musst in den Keller gehen, ein neues Kabel suchen und die Sicherung wieder einschalten. Ich will weiter Fernsehen. Fürs Bett ist es noch viel zu früh.“ Mit forderndem Blick sah Annegret ihren Mann an. „Schon gut, schon gut. Ich gehe ja.“

Benjamin ging zur Garderobe, zog seine Jacke an und griff nach seinem Schlüsselbund. Annegret hörte, wie ihr Mann ein „immer willst du, immer muss ich“ vor sich hin brummte. „Was sagst du?“, fragte sie. „Ach nichts, schon gut.“ Die Haustür fiel krachend ins Schloss.

Zehn Minuten später kam Benjamin aus dem Keller zurück. Nachdem er Jacke und Schlüssel abgelegt hatte, betrat er das Wohnzimmer. „Die Sicherung ist wieder eingeschaltet, ein Ersatzkabel haben wir leider nicht.“ Enttäuscht und vorwurfsvoll sah Annegret ihren Mann an. „Und was sollen wir nun den ganzen Abend machen?“, fragte sie. „Was weiß ich, Annegret. Ich kann mir kein Kabel aus den Rippen schneiden. Am besten gehst du schlafen. Vielleicht hast du dann morgen wieder bessere Laune.“ Benjamin setzte sich auf die Couch, nahm sein Handy, öffnete Instagram und scrollte durch seinen Verlauf. Annegret starrte vor sich hin. Beide schwiegen.

„Wie geht’s dir eigentlich?“, fragte Annegret nach einer Weile. „Du hattest doch erzählt, dass dir dein Chef ein neues Projekt geben will. Weißt du schon, wann es losgeht?“ Benjamin fuhr hoch, blickte seine Frau überrascht an und legte sein Handy auf den Tisch. „Momentan stelle ich noch ein Team zusammen. Ich denke in einem Monat geht es los.“ „Ach das hört sich doch gut an. Du wirst bestimmt ein gutes Team zusammenstellen. So etwas liegt dir doch. Da hast du ein Händchen für“, sagte Annegret aufmunternd. „Dankeschön“, erwiderte Benjamin. „Was machen eigentlich deine Fortbildungspläne? Hattest du nicht überlegt, eine Yoga Ausbildung zu machen? Du wolltest doch gerne deinen Bürojob aufgeben, weil er dich langweilt.“

„Danke, dass du fragst. Ich habe zwar im Internet nach Yoga Ausbildungen recherchiert, hatte aber nicht den Mut, mich irgendwo anzumelden. Mittlerweile bin ich mit 40 zu alt für solche Sachen. Ich sollte dankbar sein, einen sicheren Job zu haben. Das hat auch nicht jeder.“ „Ach Annegret, du kannst doch was. Wie du dich immer verbiegst. Mir wird davon schlecht. Es macht dir doch Spaß und du kannst gut mit Menschen umgehen. Man ist nie zu alt, seinen Träumen nachzugehen.“ „Danke. Du, hast recht. Ich muss einfach mutiger sein.“ Annegret strahlte Benjamin an.

„Sag mal, wie lange haben wir uns eigentlich gegenseitig nicht mehr gefragt, wie es uns geht?“, fragte Benjamin plötzlich. „Wenn du mich so fragst, ist es wohl zu lange her. Ich weiß auch nicht, was mit uns passiert ist. Irgendwie funktionieren wir nur noch. Samstags erledigen wir alles, was wir unter der Woche nicht geschafft haben und sonntags sitzen wir vorm Fernseher. Wir reden nicht mehr miteinander, sondern leben nebeneinander her. Ich scheuche dich die meiste Zeit herum oder bin unzufrieden. Du gehst auf Distanz oder bist abwesend.“ „Das stimmt Annegret, wir sollten aufpassen, dass unsere eigene Ehe nicht zum Tatort wird.“ Beide lachten.

Auf einmal blendete sie grelles Licht und Stimmen ertönte. Der Fernseher war wieder angegangen. „Ach sieh mal, es war wohl doch nur die Sicherung. Ein Kurzschluss und nicht das Kabel. Willst du deinen Tatort weiter anschauen?“, fragte Benjamin. Annegret antworte nicht, sondern nahm die Fernbedienung in die Hand und schaltete den Fernseher aus. „Weißt du, du könntest mir doch noch erzählen, was du genau in deinem neuen Projekt machen musst. Es interessiert mich.“ Benjamin lächelte. „Gerne und danach sprechen wir noch einmal über deine Fortbildung und darüber, wie wir wieder unsere Ehe in den Mittelpunkt rücken können.“ „Gute Idee. Ich habe gehört, dass man Serien auch aufnehmen kann und, dass um die Ecke ein neues Restaurant aufgemacht hat. Dort konnten wir anfangen, wieder ein wir zu werden; nicht nur ein du und ich.

Veröffentlicht von Lene

Ich würde mich als emphatische und entspannte Person bezeichnen, die versucht, ihre Erlebnisse in Wort und Schrift darzustellen. Also alles was mein Herz in irgendeiner Art und Weise berührt, verarbeite ich schriftlich. Ich bin kein Meister der Poesie. Manches mag sich holprig anhören, aber so ist mein Schreibstil. Ich bin auch nicht festgelegt auf eine Art von Text, jedenfalls noch nicht. Ich probiere gerne mal aus, dass merkt man auch an meiner Website: Sie ist recht bunt. Ich denke gerne bunt, denn für mich ist es das Leben auch. Mich freut es einfach, wenn der ein oder andere etwas mit meinen Texten anfangen kann oder sich vielleicht sogar darin wiederfindet. Viel Spaß beim Lesen. Und danke für euren Abstecher in meine kleine, bunten Welt. Vielleicht bis bald. 🤗 Lene

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