Der kleine Muk

An einem Sommermorgen, gegen 6:00 Uhr morgens, wurde der kleine Muk geboren. Die Sonnenstrahlen kitzelten ihn ins Leben. Als er die Augen öffnete, erblickte er weiten Himmel, und Bäume, deren Blätter im leichten Wind rauschten. „Wie schön“, dachte Muk. Berauscht vom Anblick der Natur fing er an, sich zu strecken und mit seinen verklebten Flügeln hin und her zu flattern. Dann wagte er erste Schritte auf seinen Füßen. „Was ich alles kann“, dachte er. Beglückt von seinen Fähigkeiten verspürte er ein Kribbeln in seinen Flügeln und Neugier, die in ihm aufkam. Er wollte diese schönen Welt, die ihn mit Sonnenstrahlen geweckt hatte, erkunden.

Muk versuchte zu fliegen. Die ersten Versuche schlugen fehl. Nach ein paar Metern sank er wieder zu Boden. „Wie soll ich das nur lernen?“, fragte er sich. „Ich habe nicht genügend Kraft in meinen Flügeln.“ Traurig über seine Fehlversuche verfiel er in Starre. Dann hörte er eine innere Stimme, die ihm Mut zuflüsterte und ihn beschwor, nicht aufzugeben. Muk versuchte es immer und immer, bis er schließlich abhob und davonflog. Er freute sich über seinen Erfolg. Muk flog beseelt durch den Sonnenschein, über Wiesen, Felder, vorbei an Kühen und Schafen. Er saugte jeden Augenblick, der ihm etwas neues zeigte und lehrte, auf. All dies erleben zu dürfen begeisterte ihn. Dann und wann landete er auf einer Blume, auf dem Gras oder dem Ohr einer Kuh. Er flog jedes Mal weiter, angetrieben von dem Gefühl, die Welt zu erkunden. Der Wind nahm zu. Muk ließ sich von ihm treiben und vergaß die Zeit. Er flog und flog. Es kam ihm vor, als ob er nie etwas anderes gemacht hätte. Er dachte an nichts und ließ sich vom Leben führen. Gegen Mittag verspürte er ein Ziehen im Bauch. Ein köstlicher Duft jagte durch seine Nase. Muk, der sich über diese weitere Fähigkeit freute, folgt dem Duft, bis er auf ein offenes Fenster stieß. Er sah einen Teller mit Obst. Begeistert flog er darauf zu, setzte sich auf den Teller und ließ es sich schmecken. Er aß und aß, bis sein Bauch kugelrund war. Dann schlief er erschöpft ein.

Muk wurde durch die Wärme der tieferliegenden Sonne geweckt. Er öffnete seine Augen, blickte um sich und roch erneut den köstlichen Duft des Obstes. Genussvoll aß er sich satt. Glücklich und zufrieden beschloss er weiter zu fliegen. Es gab noch viel zu entdecken.

Er ließ sich treiben. Mit geschlossenen Augen segelte er im lauen Wind. „Wie schön Leben ist, wenn man mit ihm fliegt“, dachte Muk.

Nach einer Weile überkam Muk das Gefühl anhalten zu müssen. Die innere Stimme flüsterte wieder zu ihm. Er folgte ihr, da er sich daran erinnerte, dass sie ihn sicher zu neuen Erfahrungen führte. Er senkte langsam seinen Flug über einer Schafherde. Dann erblickte er ein Schaf, dessen Fell eine besondere Musterung aufwies. Zielstrebig steuerte er auf das Tier zu. Seine Besonderheit gefiel ihm. „Wie einzigartig schön wir doch alle sind.“ Muk wollte das Schaf kennenlernen und nahm an seinem Ohr Platz.

Das Schaf wackelte mit dem Ohr, dann mähte es: „Hallo, wer bist denn du?“ Verwundert darüber, dass das Schaf ihn ansprach, antwortete Muk und stellte sich als Fliege vor. „Nun, dass du eine Fliege bist, weiß ich. Eine Eintagsfliege, um genau zu sein. Ich bin Schafs.“ „Was ist eine Eintagsfliege?“ Schafs stockte, bevor er leise sagte: „Eine Fliege, die nur einen Tag lebt.“

Muk überkam eine tiefe Traurigkeit. Er lebte doch erst so kurz und alles, was er bisher gesehen hatte, gefiel ihm so gut. Die Sonne, die Blumen, das Obst, das er gegessen hatte. Er begann zu weinen. Schafs mähte beruhigend. „Nun habe ich so viel Zeit damit verschwendet sinnlos umherzufliegen. Ich habe mir vorher nicht überlegt, was ich alles erleben möchte. Morgen werde ich nicht mehr sein. Mir bleibt nichts außer Heute“, schluchzte Muk. „Nun mein kleiner Freund, ich verstehe deine Trauer und deine Angst vor dem Nichts. Doch lass mich dir sagen, dass wir alle nur Heute haben. Mehr bleibt uns nicht. Auch ich weiß nicht, was Morgen ist oder ob ich ein Dreijahres Schaf bin. Du brauchst dich vor nichts fürchten. Wir alle kehren zum Ursprung zurück und werden auf diese Weise immer sein. In allem. Im Gras, in Bäumen, Fliegen und Schafen. Unsere Spuren bleiben hier. Sie werden von anderen wahrgenommen, weil sie in ihnen flüstern. Das einzige was zählt ist, dass du die Momente deines Lebens genossen hast und lieben konntest.“ „Wie meinst du das?“„Nun, ob du die Sonne gefühlt hast und den Wind auf deinen Flügeln. Ob du diese Momente deines Lebens genossen hast, Dankbarkeit verspürt hast, diesen Augenblick erleben zu dürfen. Denn wenn wir dankbar sind, lieben wir. Das Leben und uns.“ „Das habe ich.“ „Dann, mein kleiner Freund, hast du alles richtig gemacht.“ „Und ich brauche wirklich keine Angst vor dem Nichts zu haben?“, fragte Muk. „Nein. Du wirst immer sein. Nur in einer anderen Form. Du wirst in anderen sein. Wir sind alle eins. Wir kommen, wir gehen. Geburt und Tod. Es ist wie ein nach Hause kommen, nach einer langen, wundervollen Reise.“ „Was soll ich denn nun mit dem Rest meiner Zeit tun? Wo soll ich anfangen? Ich habe so vieles noch nicht gesehen.“ „Das darfst du entscheiden. Mach das, was dich glücklich macht.“ „Glücklich?“ „Was dir ein Gefühl von Freude vermittelt, weil du das Leben spürst und dein Herz schlägt.“ „Dann weiß ich, was ich zu tun habe.“ Beide verabschiedeten sich. Schafs gab ihm noch mit, nicht an Morgen zu denken und das Heute zu genießen.

Muk tat das, was ihm am glücklichsten machte und was sein Herz zum schlagen brachte. Fliegen. Er flog und flog. Er spürte Freiheit und Weite. Alle Eindrücke, die er auf seinem Flug sammelte, begeisterten ihn. Er sah Menschen, Autos, andere Tiere, Flüsse und Seen. Ab und an hielt er an, um den Moment in vollem Bewusstsein zu genießen. Er atmete tief und war dankbar darüber, zu sein. Heute. Jetzt. Dann beschloss er sämtliche Pläne aufzugeben und auf seine Stimme zu hören. Er aß, wenn er Hunger hatte und schlief, wenn er müde war. Dazwischen flog er oder hielt an einem besonders schönen Platz inne, wenn ihm danach war. Er war im Einklang mit sich und dem Leben um ihn herum. Er verspürte ein warmes Gefühl. „Das muss wohl das Glück sein, das Schafs meinte.“

Gegen Abend wurde Muk sehr müde. Er verspürte den Drang, dorthin zurückzukehren, wo er hergekommen war. Er mobilisierte seine letzten Kräfte. Als er angekommen war, ging die Sonne langsam unter. Im Licht der letzten Sonnenstrahlen sah er Eier vor sich, die sich am nächsten Tage öffnen würden. „Meine Brüder und Schwestern. Es ist so wie Schafs gesagt hat. Alles kehrt zu seinem Ursprung zurück.“ Muk war glücklich und dankbar für all die Erfahrungen, die er heute machen durfte. Er schloss die Augen und versuchte einzuschlafen. Er hatte keine Angst vor dem Nichts, denn er hatte alles was er brauchte. Heute. Er hatte kein Morgen. Morgen gehörte seinen Schwestern und Brüdern. Doch er würde immer noch sein. Eine Spur von ihm würde flüstern. In Wiesen, Bäumen und Feldern. Andere Fliegen würden seiner Spur entdecken und ihr folgen. Er hoffte, dass sie auf ihrem eigenen Weg ihr Glück fanden und ihre Liebe für das Leben entdeckten. Dann schlief er endgültig ein. Friedlich.

Veröffentlicht von Lene

Ich würde mich als emphatische und entspannte Person bezeichnen, die versucht, ihre Erlebnisse in Wort und Schrift darzustellen. Also alles was mein Herz in irgendeiner Art und Weise berührt, verarbeite ich schriftlich. Ich bin kein Meister der Poesie. Manches mag sich holprig anhören, aber so ist mein Schreibstil. Ich bin auch nicht festgelegt auf eine Art von Text, jedenfalls noch nicht. Ich probiere gerne mal aus, dass merkt man auch an meiner Website: Sie ist recht bunt. Ich denke gerne bunt, denn für mich ist es das Leben auch. Mich freut es einfach, wenn der ein oder andere etwas mit meinen Texten anfangen kann oder sich vielleicht sogar darin wiederfindet. Viel Spaß beim Lesen. Und danke für euren Abstecher in meine kleine, bunten Welt. Vielleicht bis bald. 🤗 Lene

2 Kommentare zu „Der kleine Muk

Kommentare sind geschlossen.